COOKBOOK IV · Pianos & Motions

z.o.o. 1048

Komposition: Andreas Koeper

Idim Le Gulf (Solo Piano)
Jejin Le Gulf (Duo Piano)
Ninje Le Gulf (Trio Piano)
Andreas Koeper (Elektronik)
Oliver Siegel (Klangsynthese)

Gestaltung: Uwe Melichar, Factor Design, Hamburg
Aufgenommen im z.o.o.Haus, 1999/2000
Tontechnik: Oliver Siegel

© 2001 z.o.o. Verlag

Music of Suspense Klavier Solo   [03:05]
Toh …   [04:17]
Movies 1 Zwei Klaviere   [01:12]
Movies 2 Zwei Klaviere   [01:08]
Movies 3 Zwei Klaviere   [02:33]
Regenmusik   [03:38]
Stoffe 1 Klavier Solo   [02:38]
Stoffe 2 Klavier Solo   [06:25]
Stoffe 4 Klavier Solo   [03:26]
Eclipse   [03:09]
Movies 4 Zwei Klaviere   [04:24]
Movies 5.1|1 Drei Klaviere   [02:05]
Stoffe 5 Klavier Solo   [04:49]
Stoffe 6 Klavier Solo   [02:31]
Casa Galgano   [08:28]
Movies 5.1|2 Zwei Klaviere   [07:09]

• Pianos & Motions. Was ist hörbar? Nur das, was sich bewegt. Darüberhinaus herrscht Stille. Keine Regung. Alles scheint nun möglich.

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• Die Welt bewegt sich spiralförmig. Wir treffen immer wieder auf das, was wir schon kennen. Doch dasselbe ist nicht mehr dasselbe. Die Perspektive hat sich verändert, unser innerer Zustand und die Art, wie wir handeln oder behandelt werden. Alles ist Bewegung. Alles ist Prozeß. Ein Ziel kann Orientierung geben, aber im Grunde kommt es zuerst darauf an, in Bewegung zu bleiben.
Movies sind Bewegungsstudien, kurze akustische Filme. Movies komponieren heißt: hörbar machen, was nicht sichtbar ist. Alle Stücke entstanden unterwegs, sind in Klang gebannte Augenblicke des Reisens, Resonanzen der Beweglichkeit. Movies entstehen dynamisch, wachsen, indem sie weiterdrängen. Ihre rhythmischen Anlagen suchen die eigene Form, notwendig, originär und unwiederholbar. Es ist die innere Logik, die Konsequenz einer einmal angestoßenen Entwicklung, die sich hörbar Bahn verschafft. Dabei folgen die Kompositionen keinem Modell, keiner Vorlage, keiner Tradition, sondern vertrauen auf die gestaltende Kraft ihrer eigenen Bewegung. Und plötzlich ist er da, der Moment, wenn sich zeitlicher Fluß in räumliche Struktur verwandelt.

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• Die Welt ist Vorkommen. Alles daraus kann Material sein. Jedes Material kann musikalischer Stoff werden. Das Ohr, der Sinn, die Disziplin für das im Material enthaltene Vermögen. Diese Haltung streckt sich nicht nach Unberührtheit. Sie will Zusammenhang erfinden und spürt nach verborgenen Anlagen, zu erzählen und zu bauen. Jedem Material ist Bewegung abzugewinnen. Jeder Stoff ist in Unruhe geratene Substanz und folgt eigenen Tendenzen. Keine Formel, kein Förmchen. Bewegung ergibt Gestalt. Komposition im Reinen entwickelt den Wuchs aus dem, was aufklingt. Es ist das Werden der musikalischen Statur allein aus der Idee des akustischen Materials. Diese Idee, von Kopf zu Kopf verschieden, ist unerschöpflich. Sie lebt aus der Perspektive des einen, ausführenden Ichs.
Allen Stoffen liegen einfache, knapp formulierte Aufgaben zugrunde. Mal ist es die Arbeit mit einem Akkord, mit einem Rhythmus, mal die Aufforderung, eine Spielanweisung, eine Zeichnung, ein Wort klanglich umzusetzen.

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• Die Bewegungen der Welt. Man kann sie hören. Das Leben produziert die bei weitem hemmungslosesten Klänge. Die vier Audiokompositionen »Toh…«, »Regenmusik«, »Eclipse« und »Casa Galgano« bilden den Auftakt. Doch wie sich orientieren, wie sich zurechtfinden im überschäumenden Klangstrudel des Alltags? Nun, man gewichtet, bezieht den Ablauf der Töne und Geräusche auf das eigene Tempo. So auch hier. Andere Ohren hätten wahrscheinlich andere Akzente gesetzt. Aber wie ich die Dinge höre, ergaben sich die Impulse ganz von selbst. Ich mußte nur Klangtupfer aufbringen, gezielt Tonlinien ziehen, mußte Konturen nachzeichnen, ein wenig einfärben und verfremden. Akustische Konzentrate sind so entstanden. Interpretationen von Bewegungen an bestimmten Orten zu einer bestimmten Zeit.

»Toh« ist ein rätselhafter Laut, der nur von Tieren verstanden wird. Ich hatte meine Mikrophone am Rande einer Weide positioniert, weil mich das hohle, volltönende Geräusch kauender Rindermäuler faszinierte. Es war der Beginn einer kompletten Komposition. Zunächst ruhender, in sich bewegter Stillstand. Stampfen und schwerer Atem. Bewegung, die sich selbst genügt. Und dann, auf Kommando die Entwicklung. »Toh«, riefen die Hirten. Langsam, schwerfällig, von unsichtbarer Hand geführt, begannen die kolossalen Tiere sich in Marsch zu setzen. Urviecher, Maremmarinder. Laut knirschte der Kies unter ihren Hufen als sie den Feldweg kreuzten. Die Hirten folgten, bildeten den Abschluß. Mißtrauische Blicke, sprachlose Neugier. Unverständlich das alles. Im hohen Gras der ansteigenden Böschung verloren sich die Spuren.

Regen ist von besonderer akustischer Schönheit. Ein dichter Schleier von kurzen, spitzen, getrommelten Tönen fällt auf die Erde. Sprühende Klangpracht, Regenmusik. Die starken Betonungen, die sich ergaben, als besonders dicke Tropfen auf meinen aufgespannten Regenschirm prallten, formten einen suggestiven Rhythmus. Er mußte zu besonderen Klängen führen. – Ein Bild, das sich mir aufdrängte: Lautloser, zu Tropfen und Nebel kondensierter Schall wirbelt durch die Luft, gibt erst am Ende der Reise sein Geheimnis preis. Regen, der sich in Schwingung auflöst, sobald er die Erde berührt. Naturspiel, ewiger Kreislauf. Kopfmusik, von der wir vielleicht meinen, sie irgendwann schon mal gehört zu haben.

Die Aufnahmen zu »Eclipse« entstanden am 11.08.1999 mittags auf einem Feld bei Schlangenhofen, in der Nähe des Ammersees bei München. Es war der seltene Moment absoluter Sonnenfinsternis. Über die weiten Wiesen und Äcker verstreut standen die Menschen in kleinen Gruppen, gespannt und voller Erwartung. Wenn man sich wegen des hügeligen Geländes auch nicht sehen konnte, so konnte man sich doch hören. Außer Jubel, in den Menschen immer dann ausbrechen, wenn sie mit ihrer Begeisterung nicht allein sein wollen, gab es auch andere Geräusche. Ein pausenlos über unseren Köpfen kreisendes Flugzeug. Einen Bauern, der von allem unbeirrt seinen Acker pflügte. Und vielleicht hört man ganz leise, ganz fern auch Unbekanntes. Eine Art Urschall. Verlorene, aus der Dunkelheit gefallene Töne. Musik, wie vor der Ordnung. Klänge, die wir uns erträumen müssen.

Die Abbazia di San Galgano, nahe Monticiano, südlich von Siena in der Toskana ist ein offenes Haus. Das ehemalige gotische Zisterzienserkloster aus dem 12. Jahrhundert ist heute eine Ruine und ein besonderer Ort. Hier hat die Vergangenheit einen archaischen Klang. In diesen dicken, alten Mauern gibt es genügend Nischen, Lücken, Risse, in denen sich noch Reste alter Klangspuren finden lassen. Man muß nur suchen und ein bißchen an ein Wunder glauben. Doch alles verflüchtigt sich mehr und mehr. Es wird Ordnung geschaffen und modernisiert. Der Tourismus drängt sich vor und mit ihm, alle Erinnerungen tilgender Lärm. »Casa Galgano« ist ein Dokument ausklingender Zeit.